Künstler, Musiker, Herausgeber, Autor und Hochschullehrer.

„Grenzgang”

Eine Kunstaktion von Timo von Kriegstein und Sven Lütgen (2016)
Offizieller Beitrag der altonale18 (Nordeutschlands größtes Kultur- und Stadtteilfest), genehmigt vom Bezirksamt Altona.

Wer darf rein? In einer Gesellschaft, die den Ausnahmezustand im Namen der Sicherheit als Normalität hinnimmt, in der persönliche Freiheit ausgespielt wird gegen anonyme „Kontingente“ von Menschen, und öffentlicher Raum kurzerhand zur Gefahrenzone erklärt wird, werden humanistische Werte gegenüber ökonomischen und politi-schen Interessen zunehmend verhandelbar. Timo von Kriegstein und Sven Lütgen haben sich mit ihrer Aktion GRENZGANG einen Ort ausgesucht, an dem spürbar ist, wie sensibel und umfunktionierbar Grenzen und Wegerechte sind.

HINTERGRUND
Der Elbtunnel nimmt eine „Schlüsselfunktion im internationalen Reise- und Güterverkehr mit Schleswig-Holstein und Skandinavien“ (Wikipedia) ein. Er kreuzt die Elbe am westlichen Rand des Hamburger Hafens, dem drittgrößten Seehafen Europas. Das von Godber Nissen (u.a. Mitarbeiter von Albert Speer) entworfene Lüfterbauwerk Mitte markiert in seiner Funktion, seiner Ästhetik und seinem Kontrast zur Umgebung einen der ungewöhnlichsten Orte in Altona. Am idyllischen Elbufer zwischen dem Museumshafen und dem Oevelgönner Strand gelegen, passieren viele Elbspaziergänger den massiven Betonklotz, dessen Funktion sich nicht unmittelbar erschließt, und der am ehesten an einen gesicherten Bunker, vom Wasser aus an eine Festungsanlage erinnert.
Ins Bewusstsein gerückt, dass unter dem Gebäude der Elbtunnel verläuft, befindet sich dieser Ort am Kreuzungspunkt der zwei meistbefahrenen Wirtschaftstraßen Nordeuropas und repräsentiert damit Kontrollstützpunkt und Befestigungsanlage moderner Handels- und Verkehrswege. Gleichzeitig ist die mit Schutzgittern umrüstete und von Kameras bewachte Anlage wie die Öffnung eines riesigen, verzweigten Organsystems.

KONTEXT
Grenzen in Mitteleuropa waren lange Zeit kein Thema. Während es vor Mitte der 1980erJahre üblich war, dass an Landesgrenzen in Europa mehr oder weniger starke Kontrollen stattfanden, hatten sich die Grenzen durch die Schengen-Abkommen regelrecht in Luft aufgelöst.
Durch die Konflikte in Syrien, Nordafrika und dem Nahen Osten und dem damit verbundenen Flüchtlingszustrom geraten die solange nicht beachteten Grenzen nun wieder in den Mittelpunkt europäischer Politik.
Der Hamburger Hafen ist ein Knotenpunkt der Handels- und Reisewege und das Lüftungswerk eine Bastion mitten im zivilen Umfeld, das bei Komplikationen auch als Rettungsweg für den Elbtunnel fungiert, im zivilen Alltag aber “schläft”. Hier finden, während nichts ahnende Strandgäste Sandburgen mit ihren Kindern bauen, Einschluss- und Ausschlussmechanismen unseres Gesellschaftssystems statt. Ein Umschlagsplatz für Waren jeder Art!

KONZEPT
Die oben beschriebenen Themenfelder (Transport, Zufahrtskontrollen, Überwachung) werden auf die Strandbesucher übertragen.
Eine gespielte Security-Truppe (8 Personen) kontrolliert Zugänge und leitet und beobachtet den Fußgängerstrom.
Wir schaffen eine öffentliche Aufmerksamkeit an diesem wichtigen Verkehrsknotenpunkt für gesellschaftliche Ausschliessungsmechanismen und für soziale Begegnungen (Security versus privater Strandbesucher).
Wir konfrontieren die Besucher mit der Verunsicherung durch eine Grenzsituation, deren Regeln nicht einsehbar sind.
Die künstlerische Intervention findet im Rahmen des künstlerischen Programms der Kunst altonale18 statt und wird von einer umfangreichen PR- und Öffentlichkeitsarbeit begleitet.
Der Bedeutungshorizont der Arbeit bekommt in besonderen Maße mit dem Thema Flucht eine gesellschaftspolitische Brisanz. Auch in Erinnerung an die Geschichte der Stadt Altona, die nur durch ihre Weltoffenheit, gerade gegenüber Flüchtlingen, zu einer florierenden Metropole heranwachsen konnte.

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